(Wie) Ist es möglich, Bewegung ins klassische Konzert zu bringen, ohne dass die musikalisch-technische Qualität und – vielleicht noch wichtiger – die Authentizität des Auftritts darunter leidet? An dieser Frage haben sich in den letzten Jahren viele Konzertveranstalter und Orchester abgearbeitet, mit bisher noch eher verhaltenem Erfolg.
Ein neuer Versuch wurde am 16. November 2023 im Stadtcasino Basel gestartet – im Rahmen der Sinfoniekonzerte Klassik-Reihe präsentierte die Allgemeine Musikgesellschaft (AMG) ein vielversprechendes Programm mit Star-Geigerin Hilary Hahn und der Filarmónica Joven de Colombia unter der Leitung von Andrés Orozco-Estrada.
Und das Konzert begann gleich mit einer ersten Überraschung. Allerdings nicht, weil das Programm umgestellt wurde, sondern weil über das erste Stück erst spät entschieden wurde – zu spät für das Programmheft. «Travesía» von Wolfgang Ordoñez klang so, wie man sich klassische Musik aus Kolumbien vorstellt: prominente Blechbläser, swingende Rhythmen, Raum für Soli und klangliche Abwechslung – ein toller Einstieg.
Es folgte der Auftritt von Hilary Hahn, mit Felix Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert in e-Moll op. 64. Die amerikanische Geigerin machte deutlich, dass sie nicht ohne Grund zu den Beliebtesten und meist Gefeierten ihres Fachs gehört. Ihre Intonation war von der ersten Note an perfekt, der Klang makellos und ihr musikalisches Feingefühl allzeit hörbar. Besonders beeindruckend waren Hahns piano-Passagen und die sanfte Art und Weise, wie sie die Übergänge zu den Orchesterteilen gestaltete. Das Publikum konnte es kaum erwarten, in Applaus auszubrechen und entliess Hahn erst nach zwei Zugaben in den Feierabend.
In der zweiten Konzerthälfte wartete die Filarmónica Joven de Colombia dann mit einer einzigartigen Interpretation von Igor Strawinskys «Petruschka» auf. Das Orchester betrat die Bühne nach und nach aus verschiedenen Ecken, immer wieder mit feierlichen Ausrufen und einem signalisierenden Flötenmotiv dazwischen. Das Stück Strawinskys spielt ursprünglich auf einem Jahrmarkt in Sankt Petersburg – dieser wurde für die Interpretation umgedeutet in einen kolumbianischen Karneval. Dafür hat die Filarmónica Joven eine beeindruckende Choreografie kreiert, bei der die Musiker*innen nicht nur ihre Instrumente spielten, sondern gleichzeitig theatrale Gesten und Bewegungen vollzogen, die an Karnevalsumzüge erinnerten. Dazu gehörte neben viel vertikaler und horizontaler Bewegung nicht zuletzt auch das Tragen von farbigen Masken. Zusammen mit der Lichtinszenierung ergab sich so eine völlig neue und erfrischende Strawinsky-Interpretation.
Überhaupt riss die Filarmónica Joven das Publikum mit ihrer jugendlichen Frische, dem südamerikanischen, authentischen Temperament und der gelebten Körperlichkeit der Musik mit, ohne dass der Auftritt in irgendeiner Weise erzwungen wirkte. Und Orozco-Estrada, der zwischendurch zum Mikrofon griff, konnte die Zuhörer*innen mit seiner charismatischen und humorvollen Art schnell für sich gewinnen. So endete das Konzert mit Standing Ovations und einer kolumbianischen Zugabe, bei der vor allem die Blechbläser mittels Jazz-Soli noch einmal ihr ganzes musikalisches Können bewiesen.
Der ganze Abend war ein Beispiel dafür, wie es gelingen kann, das klassische Konzert bewegter zu machen. Die Kombination aus jugendlichem Elan, durchdringendem Temperament, Bewegungsdrang und höchster musikalischer Fertigkeit überzeugte von Anfang bis Schluss.
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