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AMG, 16.4.2024, Stadtcasino Basel: Guter Solist, fantastisches Orchester

Klassik
Sinfoniekonzert
Stadtcasino Basel

Es geht Schlag auf Schlag bei der Allgemeinen Musikgesellschaft (AMG): Nachdem am 6. April 2024 das Taiwan Philharmonic und Vsevolod Zavidov für Begeisterungsstürme sorgten, folgte am Dienstag, 16. April 2024 mit dem Philharmonia Orchestra London unter der Leitung von Santtu-Matias Rouvali der nächste Hochkaräter unter den Orchestern von Welt. Der Schlag – um zur Box- oder besser Martial Arts-Metaphorik zurückzukehren – kam vom chinesisch-kanadischen Pianisten Bruce Liu, Gewinner des Chopin-Wettbewerbs 2021. Und ja, nicht nur der Name klingt täuschend ähnlich, Liu gleicht auch äusserlich dem berühmten Kampfkünstler bis aufs Haar.

Nun aber zur Musik: Ohne Vorprogramm setzte Liu gleich zu Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 2 op. 18 in c-Moll an. Der russische Klavierkomponist schrieb das Werk 1900/01 während einer Phase grosser Selbstzweifel und Depressionen, aus der er nur dank einer Hypnose-Therapie wieder herausfand. Der Neurologe Dahl, dem das Konzert gewidmet ist, redete ihm im Halbschlaf-Zustand ein, dass er bald ein exzellentes Werk kreieren würde. Heute hiesse diese Praxis vermutlich ‘Manifestieren’. Wie auch immer, das Klavierkonzert ist ein echter Ritt. Nicht verwunderlich, dass es heute zu den populärsten seiner Gattung gehört. Liu zeigte eine technisch brillante Performance und spielte auch die schwierigsten Passagen mit Bravour. Fast noch beeindruckender aber war das Orchester: Die verschiedenen Instrumentengruppen überzeugten durchgehend mit Präzision und Klangschärfe; Rouvalis unaufgeregter, aber enorm eindringlicher Dirigierstil schien das Beste aus den Musiker*innen herauszukitzeln – ein runderer Orchesterklang war in Basel seit längerer Zeit nicht mehr zu hören. Da hatte selbst Liu teilweise Mühe, die dynamische Bandbreite mitzugehen.

Der volle Musiksaal bekundete nach Ende des Rachmaninow-Konzerts grossen Beifall. Liu stimmte gleich selbst mit ein und dankte den Musiker*innen des Philharmonia Orchestra – und schliesslich dem Publikum mit einer Duo-Zugabe: Zusammen mit Konzertmeister Zsolt-Tihamér Visontay spielte er Chopins Nocturne in Es-Dur in einem Arrangement für Klavier und Geige – bevor er nach einem zweiten, virtuosen Solo-Encore sein Werk vollendet hatte. Ein Wort noch zu Lius Auftreten: Seine Art, sich selbst nicht in den Vordergrund zu stellen, sondern die Musik sprechen zu lassen und das Orchester zu würdigen, löste bei vielen ein zweifellos durch Sympathie geformtes Lächeln aus. Dasselbe kann übrigens für Rouvali gesagt werden.

Nach der Pause folgte mit Schostakowitschs 10. Sinfonie – 1953, kurz nach Stalins Tod, in St. Petersburg uraufgeführt – der zweite Streich des Abends. Wie man es vom russischen Komponisten kennt, bewegt sich die Musik immerzu zwischen Beklemmung, Tragik und Ausbrüchen des Absurden, Grotesken, Karnevalesken. Es ist wirklich erstaunlich, wie gut seine Musik altert – kaum ein*e Komponist*in vor oder nach hat es geschafft, die existenziellen Extreme und die Abgründe der menschlichen Psyche mit solcher Prägnanz zu verklanglichen. Auch die 10. Sinfonie ist gespickt mit dunkelsten Motiven und lauten klanglichen Irritationsmomenten – schlägt aber immer wieder in plötzlich einsetzende Marsch-, Tanz- oder Jahrmarktmusikpassagen um. Das Philharmonia Orchestra überzeugte auf ganzer Linie: Holzbläser-Soli, Streicher-Unisono-Teile und die heftigen Perkussionseinlagen trafen genau den richtigen Ton. Die Tutti und Forte-Passagen entfalteten eine zeitweise fast beängstigende Kraft – was die Irritationsmomente in der Musik Schostakowitschs eindrücklich zur Geltung brachte.

So war es nicht weiter verwunderlich, dass das Orchester und Rouvali den grössten Applaus des Abends einheimsten. Mit Sibelius’ «Valse triste» gab es dann sogar noch eine Zugabe für das Publikum, dessen Begeisterung für das Gehörte auch noch in den Strassen und Trams auf den verschiedenen Nachhausewegen nachhallte.

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