Wie perfektioniert kann ein Orchesterkonzert sein, ohne dass es unmenschlich und dadurch beängstigend wirkt? Oder gibt es dahingehend keine Grenze? Diese Frage stellt man sich hin und wieder, wenn man Orchester und Solist*innen von Weltformat hört. Und sie stellte sich auch am Donnerstag, 23. Mai 2024 im Stadtcasino Basel, beim Konzert des Orchestre de Chambre de Lausanne im Rahmen der Basler Volkssinfoniekonzerte.
Das welsche Orchester unter der Leitung von Renaud Capuçon stieg direkt und ohne Vorgeplänkel (sprich: ohne Ouvertüre) in Beethovens Klavierkonzert Nr. 2 in B-Dur ein. Es gehört zu dessen frühen Werken und wurde am 29. März 1795 in Wien mit Beethoven selbst als Solisten uraufgeführt. Dass es noch stark von Mozart und der Wiener Klassik geprägt ist, merkt man nicht zuletzt an den kompakten und stark kontrastierenden Themen, den vergleichsweise häufig eingesetzten Trillern, der prominenten Chromatik sowie den theatralischen Passagen, die aber bereits Beethovens Talent der motivischen Ausarbeitung durchscheinen lassen.
Solistin war am Donnerstagabend die russisch-ukrainisch-stämmige Schweizer Pianistin Anastasia Voltchok, die unter anderem in Basel bei Rudolf Buchbinder studierte. Sie spielte souverän, kräftig und nuanciert, blieb dabei aber immer in körperlicher Ruhe. Mit ihrem zügigen Tempo forderte sie das Orchester, das sich aber nicht nur hinsichtlich Geschwindigkeit, sondern auch bezüglich Klang und Artikulation bestens mit Voltchok verständigte. Wobei das eigentlich einer starken Untertreibung gleich kommt: Die beiden ergänzten sich so gut, dass man zeitweise das Gefühl haben konnte, das Werk wäre extra für sie geschrieben worden.
Der ausgereifte und abgerundete Gesamtklang war nicht zuletzt auch das Verdienst von Capuçon, der das Orchester mit seiner energischen Dirigierweise an den richtigen Stellen zu packen vermochte, ohne es je über die Solistin zu stellen. Das Publikum zeigte sich mit der Aufführung des Beethovens hochzufrieden und beharrte auf einer Zugabe von Voltchok, die das längere Insistieren schliesslich mit Chopins Fantaisie-Impromptu in cis-Moll belohnte. Und während sie sich beim frühen Beethoven-Konzert mit virtuosen Einlagen noch eher zurückhielt, war spätestens hier kein Platz mehr für Zweifel an ihren zeitweise atemberaubenden Klavierkünsten – einer Mischung aus Präzision, Kraft und Graziosität, gepaart mit einer tiefen Durchdringung des Materials.
Nach der Pause folgte mit der Serenade Nr. 1 in D-Dur von Brahms ein nicht ganz einfaches Werk – nicht aufgrund technischer Schwierigkeiten, sondern weil es trotz deutlich hörbaren Einflüssen aus der Volksmusik immer wieder längere, wenig zugängliche Passagen aufweist. Wie fast immer macht es Brahms einem nicht eben leicht. Das Orchestre de Chambre de Lausanne dagegen schon, denn es spielte das Werk – wie schon Beethovens Klavierkonzert – aus einem Guss; insbesondere die Bläsersektion und die tiefen Streicher brillierten mit grosser klanglicher Klarheit und Raffinesse. Insgesamt gelang es dem Orchester, den Spannungsbogen trotz der vielen dynamischen Wechsel – Brahms hat es diesbezüglich hier eventuell etwas gar gut gemeint – aufrecht zu erhalten.
Das Publikum goutierte den Auftritt des Lausanner Orchesters mit ausgiebigen Ovationen. Das ganze Konzert war ein Lehrstück über die Perfektionierung und Ausarbeitung von Musik. Manchmal kommt man wirklich ins Staunen, wozu eine im Einklang stehende Ansammlung von Menschen fähig ist. Das Konzert vom Donnerstag bleibt in bester und positiver Erinnerung. Und um nochmals auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Viel mehr Perfektionierung hätte es – für meinen Geschmack zumindest – nicht mehr ertragen.
Hinterlassen Sie einen Kommentar