Die Berichterstattung über die klassische Musik ist voller Floskeln und inhaltlich mässig aussagekräftiger Redewendungen. Zu diesen gehört auch der Ausdruck der «transformativen Kraft der Musik». Es gibt aber immer wieder Konzerte, bei denen solche Redewendungen plötzlich passen wie die Faust aufs Auge.
Ein solcher Fall war der Auftritt von Maria João Pires und Ignasi Cambra am 22. Juni 2024 im Stadtcasino Basel – zum Abschluss der Solistenabende und damit auch der Saison der Allgemeinen Musikgesellschaft Basel (AMG). Das Konzert, das ursprünglich am 12. Juni angesetzt war, musste aufgrund einer Erkrankung von Pires verschoben werden. Die portugiesische Pianistin steht kurz vor ihrem 80. Geburtstag und es ist kein Wunder, dass sie zu ihrer Gesundheit besondere Sorge tragen muss.
Doch von alledem war im Moment, als sie sich im Musiksaal an den Flügel setzte, nichts mehr zu merken. Ohne zu zögern, stimmte sie sogleich in Debussys Suite pour le piano ein und spielte die impressionistischen Stücke mit grosser Vitalität und Leidenschaft. Schwerelos und träumerisch in den piano-Passagen, meisterte sie auch die lauten und kräftigen Läufe ohne Probleme.
Es folgten 6 Stücke aus den Cançons i danses des spanischen Komponisten Federico Mompou – aber nicht von Pires gespielt, sondern von Ignasi Cambra, mit dem sie sich im Wechsel die Bühne respektive den Flügel teilte. Cambra ist ein blinder Pianist aus Barcelona, der seit einigen Jahren zusammen mit Pires auftritt. Und hier zeigte sich dasselbe Bild: Nachdem Pires Cambra ans Instrument begleitete und dieser zu den ersten Takten ansetzte, war seine Behinderung sofort vergessen: Technisch tadellos, präsentierte Cambra die hierzulande wenig bekannten Klavierstücke mit einer beeindruckenden Feinfühligkeit, ohne dabei ins übertrieben Pathetische abzurutschen. Wer noch immer nach einem Beweis dafür suchte, dass man für Musik die Augen nicht braucht, wurde spätestens hier fündig.
Die zweite Konzerthälfte bestand aus Mozart und Debussy. Zunächst interpretierte Cambra die 4. Klaviersonate in Es-Dur des Ersteren, danach Pires die 13. in B-Dur. Beide meisterten die Stücke mit Bravour – beide konnten die Leichtigkeit der Mozart’schen Musik vermitteln, beide zeigten ihr Gespür für treffende Akzentuierungen, Phrasierungen und Tempovariierungen.
Zum Schluss des Programms setzten sich Pires und Cambra dann zusammen an die Tasten und spielten mit der «Rȇverie» und dem «Valse Romantique» zwei kürzere Stücke von Debussy vierhändig. Ein schöner Abschluss, der noch einmal unterstrich, wie gut sich die beiden verstehen – und dass dafür nicht nur das künstlerische Handwerk wichtig ist, sondern auch die gegenseitige Rücksichtnahme, das Vermögen, sich in die Situation des Gegenübers zu versetzen. In dieser Hinsicht ist Pires mit ihrem Engagement für sozial benachteiligte Menschen in der Musik zweifellos ein Vorbild: Was vielerorts nicht gelingt oder nur halbherzig versucht wird, schafft sie mit Authentizität und für alle Beteiligten gewinnbringend – die Klassik inklusiver zu machen.
Das Publikum würdigte den Auftritt mit lautstarken und stehenden Ovationen. Der pianistische Höhepunkt stand indes nicht auf dem Programm, sondern folgte als Zugabe: Pires’ Interpretation von Debussys «Clair de lune» gehört zum Besten, was auf dem Flügel im Musiksaal in der eben zu Ende gegangenen Saison gespielt wurde – federleicht und fliessend traf sie den impressionistischen Geist wunderbar, ohne dabei ins Bodenlose zu gleiten.
Der Schlussakt der AMG-Saison brachte zwei Menschen auf die Bühne, die in ihren jeweiligen Lebenssituationen nicht ohne Herausforderungen dastehen, mit ihrer Musik aber einen transformativen Effekt ausüben – auf sich selbst, aber auch auf all jene, die in den Genuss kommen, ihnen zuhören zu können.
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