Fast schien es so, als könnte selbst das Orchester nicht mehr warten, die neue Saison der Allgemeinen Musikgesellschaft (AMG) zu eröffnen. Die Academy of St Martin in the Fields (ASMF) – zweifellos eine der grossen britischen Institution, wenn es um klassische Musik geht – setzten am Dienstag, 24. September 2024 im Stadtcasino, ohne auf der Bühne einzustimmen, direkt in das erste Stück des Abends ein: Kevin Puts’ «Earth», eine Komposition auf das Element und den Planet Erde, die als Teil des Kollektivwerks «The Elements» im vergangenen Jahr entstanden ist. Eine fulminante Ouvertüre war es nicht, zumindest nicht zu Beginn: Das Stück beginnt mit langsamen, leichten Geigentönen, untermalt von einem ebenso sanften Harfenostinato. In der Folge entfaltet sich eine fein ausgearbeitete Dramaturgie, mit heftigen, fast rituell anmutenden treibenden Rhythmen und aufgedrehter Lautstärke in der Mitte, um zum Schluss wieder zu den leisen, feinen Flageolett-Noten der Violine zurückzukehren, die auf eine meditative Art und Weise schwebend – man könnte meinen, von der Erde aus in den Himmel gerichtet – vergehen. Ein wunderbarer wie unabsehbarer Konzertbeginn, bei dem die zentrale Figur des Abends bereits in prominentester Position stand: Der US-amerikanische Geiger Joshua Bell, der die ASMF seit 2011 in einer Doppelrolle auch leitet, spielte nicht einfach nur als Ausführender gekonnt solo – er hatte das Stück nämlich seinerzeit in Auftrag gegeben.
Und Bell fuhr als Solist gleich fort, mit Dvořáks Violinkonzert in a-Moll op. 53. Das Werk, das eher selten zu hören ist, stellt – wie übrigens auch Puts’ «Earth» – eine ordentliche spielerische Herausforderung dar. Das wurde gleich zu Beginn klar, als die Geige ohne grosses Vorgeplänkel zur ersten virtuosen Passage mit grössen Sprüngen ansetzte. Und auch in der Folge gab es für den Solopart nur wenig Verschnaufpausen – diese nutzte Bell vor allem dazu, das Orchester mit einigen Schwüngen des Bogens in den richtigen Bahnen zu halten. Dvořáks besonderer Stil kam bei seinem einzigen Violinkonzert gut zur Geltung: Elemente aus der europäischen, klassisch-wienerischen Tradition wechseln und mischen sich mit einer neuartigen Klangsprache, die bereits Eindrücke aus den USA vorwegzunehmen scheint. Ein Highlight des Werks ist der nahtlose Übergang des Kopfsatzes in den langsamen zweiten, ausgestaltet in Form einer kadenzähnlichen, breit-sehnsüchtigen Passage, bei der die Geige immer wieder durch Bläserstimmen unterstützt wird. Zwischenzeitlich wünschte man sich vielleicht etwas mehr Struktur, die grossartige Melodiegestaltung und offensichtliche Gabe für die Kreation von Landschaftsbilder evozierender Musik Dvořáks machten das Bedürfnis aber jeweils schnell wieder vergessen. Bell spielte das Violinkonzert mit viel Können und Leidenschaft, und zog das Orchester richtiggehend mit. Nach dem fast brachialen Schluss verlangte das Stadtcasino fast ebenso vehement eine Zugabe, die Bell und die ASMF in Form eines speziellen Kammerorchesterarrangements von Chopins Nocturne in c-Moll lieferten.
Nach der Pause folgte Mozarts grosse, letzte Sinfonie Nr. 41 in C-Dur KV 551, «Jupiter-Sinfonie» genannt. Das Orchester überzeugte hier auf ganzer Linie und zeigte, dass es eigentlich keinen Dirigenten braucht – alle Stimmen spielten bestechend sicher, die wuchtigen forte-Passagen klangen ebenso feingeschliffen wie die lyrischeren Abschnitte, bestes Beispiel das Holzbläser-Zusammenspiel gegen Ende des Andante-Satzes. Und schliesslich wurde mit Mozart auch noch das von Dvořák zeitweise zurückgelassene Formbedürfnis mehr als ausreichend befriedigt. Derweil gefiel Bell als erste Geige fast noch besser als in der Solo-Rolle.
So kann zum Schluss nur von einem äusserst gelungenen Saisonauftakt der neuen Orchesterreihe «Symphonic Gems» der AMG die Rede sein – oder wie es eine Stimme aus dem Publikum treffend auf den Punkt brachte: «Es hat sich gelohnt, zu kommen».
Hinterlassen Sie einen Kommentar