Dass Musik jung hält, ist eine alte Weisheit. Bestätigt wird sie durch jüngere Erkenntnisse aus der Forschung. Wer immer noch skeptisch war und einen lebendigen Beweis dafür suchte, wurde am 23. November 2024 im Stadtcasino Basel fündig: Im Rahmen der Reihe «Symphonic Gems» der Allgemeinen Musikgesellschaft (AMG) spielte die legendäre Martha Argerich (83 Jahre alt) zusammen mit dem Orchestra della Svizzera italiana (OSI) unter der Leitung von Charles Dutoit (88). Und wie.
Doch fangen wir vorne an: Etwas länger als sonst dauerte es an diesem Samstagabend, bis sich das Stadtcasino füllte – noch immer war Basel schneebedeckt, dazu musste sich das Publikum zuerst einen Weg durch den Irrgarten Weihnachtsmarkt auf dem Barfüsserplatz bahnen. Der Musiksaal füllte sich dennoch bis auf den letzten Platz.
Dem Publikum im Saal folgte in kurzem Abstand das Tessiner Orchester mit dem Dirigentenurgestein aus Lausanne auf die Bühne und legte los mit Strawinskys «Jeu de Cartes» – einem Ballett aus dessen klassizistischer Schaffensphase (also Jahrzehnte nach den skandalumworbenen, schliesslich aber erfolgreichen Kompositionen in dieser Gattung «Sacre du printemps» oder «Feuervogel»). Das Werk wird heute praktisch nur noch konzertant, ohne Tanz und Bühnenbild aufgeführt, was den Ablauf des titelgebenden Kartenspiels komplett in die Vorstellungskraft des Publikums verlegt. Schade eigentlich, denn das Spiel verspricht, zumindest in der Konzeption, einige Spannung – Straights, Flushes und Vierlinge versuchen sich auszustechen, dabei mischt ein Joker mit, der die Runden jeweils durcheinanderbringt. Davon war im Konzert wenig zu merken, dennoch blieb das Stück auch so kurzweilig und interessant, nicht zuletzt aufgrund der für Strawinsky typischen Bruchstückhaftigkeit, die aber nie in die totale Desintegration verfällt. Der Fokus liegt dabei mehr auf der Vertikalen als der Horizontalen, rhythmische Mehrschichtigkeit und repetitive, fast perkussiv wirkende Sechzehntelpassagen bestimmen den allgemeinen Duktus. Die abrupten Takt-, Tempo und Dynamikwechsel meisterte das OSI gekonnt, das sich fast kammerorchesterartig durch grosse Agilität, Flexibilität und Leichtfüssigkeit im Klang auszeichnete. Überzeugen konnten die Flöten- und Fagott-Soli in der ersten Stückhälfte. Insgesamt merkte man dem Orchester die Spielfreude unmissverständlich an – das galt ganz besonders für Dutoit am Dirigierpult, der mit einer Vitalität ans Werk, die für sein fortgeschrittenes Alter durchaus erstaunte.
Dasselbe (und noch mehr) gilt für Argerich, die dem Stadtcasino im Anschluss Schumanns Klavierkonzert in a-Moll, op. 54 präsentierte. In einem eher schnellen Tempo – die meisten Menschen nehmen es mit dem Alter doch eigentlich etwas langsamer! – spielte sie das dreisätzige Werk mit beeindruckender Souveränität und einem wohl einzigartigen Gefühl für Phrasierung. Scheinbar eins mit dem Flügel, wechselte sie mühelos zwischen sanfter, weicher Spielart und hartem Anschlag und fand für jede Passage die passende Ausdruckssprache. Piano und Forte gleichsam treffend, liess sie die Interpretation wie eine Selbstverständlichkeit wirken. Zuweilen bekam das Publikum den Eindruck, das Werk Schumanns sei leicht zu spielen. Das ist vermutlich das grösste Kompliment, das man Argerich machen kann. Das Zusammenspiel zwischen ihr und dem OSI funktionierte reibungslos – kein Wunder, verbindet die beiden doch eine langjährige Zusammenarbeit. Und – das als kleiner Fun Fact am Rande – mit Dirigent Dutoit war Argerich von 1969–1973 verheiratet, die beiden kennen sich also bestens. Keine Sekunde nach dem Schlussklang brach im Stadtcasino frenetischer Applaus für den Auftritt aus, der schliesslich in mehrminütige Standing Ovations für die argentinisch-schweizerische Pianistin überging. Den nicht enden wollenden Applaus stoppte sie schliesslich mit einer ersten Zugabe in Form der Gavotte in g-Moll aus Bachs englischer Suite Nr. 3 – und einer zweiten «Von fremden Ländern und Menschen», der ersten Nummer aus Schumanns beliebtem Klavierzyklus «Kinderszenen».
Nach der Pause wartete das OSI bereits geduldig auf der Bühne, um voller Tatendrang in Bizets jugendliche Sinfonie in C-Dur einzustimmen. 1855 während seines Kompositionsstudiums bei Fromental Halévy am Conservatoire de Paris geschrieben, verstaubte das Werk lange in den dortigen Archivschränken. 1933 wurde es wiederentdeckt und zwei Jahre später uraufgeführt – im Stadtcasino Basel unter der Leitung von Felix Weingartner. Das OSI spielte mit feiner Sensorik für die wunderbaren Melodien, besonders stark waren die Soli der Oboe im zweiten Satz. Grossartig klang die ganze Streichersektion, angeführt von Konzertmeister Robert Kowalski – im Speziellen die schnellen Sechzehntelfiguren und die weichen Pizzicati. Weniger überzeugen konnten da im Vergleich die Hörner, die im italienischen Klang, wie ihn das OSI pflegt, traditionell auch keine so hohe Priorität geniessen wie etwa in deutschen oder österreichischen Klangkörpern.
Es bleibt eine insgesamt fantastische Performance – und der Konzertabend in bester Erinnerung, vor allem aufgrund der beeindruckenden Frische, Leidenschaft und Leichtigkeit der Musizierenden, allen voran Martha Argerich und Charles Dutoit. No Signs of Slowing Down. Sie haben einmal mehr bewiesen, dass es uns mit Musik auf Dauer besser geht als ohne.
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