Ungefähr so kann man sich das wohl vorstellen, als Franz Liszt in den 1840er Jahren in Paris beim Publikum eine «Lisztomanie» (Zit. Heinrich Heine) ausgelöst hat. Zugegeben, wenn man sich die Karikaturen der Zeit anschaut, ging es damals noch ein Stückchen euphorischer, ja tumultuöser zu und her – aber ein Vergleich scheint nicht ganz abwegig:
Der japanische Pianist (sowie Komponist, Naturwissenschaftler und YouTuber) Hayato Sumino sorgte am Montag, 13. Januar 2025 – im Rahmen der Konzertreihe Rising Stars der Allgemeinen Musikgesellschaft (AMG) – im Hans Huber-Saal des Stadtcasino Basel für regelrechte Begeisterungsstürme. Gut möglich, dass das Publikum hier den grossen Klavierstar der Zukunft erlebt hat – nur «gehört» zu sagen, würde dem Abend nämlich nicht gerecht.
Sumino ist 1995 in Tokyo geboren, 2021 kam er beim Chopin-Wettbewerb in Warschau ins Halbfinale. Seither macht er sich einen Namen als Ausnahmeerscheinung im Pianistengewand – denn er ist eigentlich viel mehr als ‘nur’ ausführender Musiker: Als YouTuber «Cateen» erreicht er online ein Millionenpublikum, neben seiner musikalischen Ausbildung hat er auch einen Abschluss in Informationswissenschaft und -technologie und beteiligt sich in der Musikinformatik. Und er komponiert, und das nicht eben schlecht.
Ganz entgegen seiner Aussergewöhnlichkeit begann er am 13. Januar im Stadtcasino dann aber erst einmal ganz konventionell und zurückhaltend, mit Präludium und Fuge C-Dur aus Bachs Wohltemperiertem Klavier II. In der darauffolgenden Partita II c-Moll BWV 826 liess er sein immenses Können erstmals aufblitzen: Mit beeindruckender Klarheit und Schärfe hob er die einzelnen Stimmen und Melodielinien heraus, seine Verzierungen (insbesondere die Triller) waren voller Brillanz und die dynamischen Kontraste sowie Feinheiten in der Artikulation bereits deutlich hörbar herausgearbeitet.
Es folgten erste Eigenkompositionen Suminos, oder besser gesagt Rekompositionen, inspiriert durch sein Chopin-Studium. «New Birth» klang, wie es der Titel verspricht, hoffnungsvoll – viele schnelle, hell und glitzernd tönende Glissandi respektive Arpeggien in der rechten Hand wurden durch harte, laute Anschläge in der linken kontrastiert; hörbar beeinflusst von Chopins Klangsprache, glaubte man hie und da aber auch ganz andere Elemente wahrzunehmen, etwa die Musik des Broadway und frühen New Yorker Jazz. «Recollection» spielte dann mit einer zugänglichen, simpel gehaltenen harmonischen Basis in der Mitte der Klaviatur, um diese herum Sumino vielseitige Farbtupfer – von frei atonal bis federleichten Strichen im hohen Register – platzierte. Das Stück evozierte unterschiedlichste Gemütszustände, nicht zuletzt durch den markanten Einsatz von Crescendo und Decrescendo.
Den anschliessenden Applaus brach Sumino selbst ab, indem er sich nach kurzer Verbeugung gleich wieder an den Flügel setzte – ein Mittel, das er den ganzen Abend lang anwendete; fast so, als wüsste er schon, dass die Ovationen sonst kein Ende nehmen würden. Sumino schnippte sich in den Groove des nächsten Programmpunkts, Konzertetüden aus op. 40 des Ukrainers Nikolai Kapustin. Ein hierzulande kaum bekannter Name – leider, denn sein Stil ist faszinierend, irgendwo zwischen Jazz, Bach, Neuer Musik, Blues und Romantik. Die Etüden zeichneten sich durch grosse Vielseitigkeit aus – das reichte von unfassbar virtuoser Raserei ohne klar erkennbare harmonische Systematik bis zu verfremdeten Ragtime-Passagen. Alles in allem sehr hörenswert. Sumino spielte die teils verrückten Läufe in einer Gelassenheit, als wäre nichts dabei. So kann man schnell auf die Idee kommen, dass sein Komponieren, Variieren und Bearbeiten fast zwangsläufig daraus folgt, dass er im reinen Interpretieren unterfordert ist.
In die zweite Konzerthälfte startete der Japaner mit drei Eigenkompositionen («Pre Rain», «After Dawn» und «Once in a Blue Moon»), die teilweise jazzigen Einschlag hatten, aber auch Mittel des Impressionismus fruchtbar machten. Sumino bewies mit diesen Stücken nicht nur gutes Gespür für Dramaturgie und Spannungsbögen, sondern auch die Fähigkeit, Stimmungen und Naturzustände treffend in Töne zu verwandeln. Nach Skrjabins Sonate Nr. 5 Fis-Dur folgte zum Schluss des Programms eine eigene Klavierbearbeitung Suminos des bekannten «Boléro» von Ravel. Dabei wurde der japanische Künstler kreativ – um die lang angelegte Steigerung des Stücks noch zu verstärken, begann er im Dunkeln zu spielen und präparierte die Saiten zunächst mit einem Tuch. Das 15-minütige Crescendo meisterte Sumino problemlos – kein Zweifel, der Mann ist im Vollbesitz seiner Kräfte. Dass er sich technisch noch steigern kann, ist nur schwer vorstellbar.
Das Publikum würdigte den beeindruckenden Auftritt unmittelbar mit tosendem Applaus und stehenden Ovationen. Sumino liess sich – ohne grossen Widerstand – zu drei Zugaben hinreissen, von den vor allem die letzte begeisterte: Variationen über «Ah ! vous dirai-je, maman», auch bekannt als «Twinkle, Twinkle, Little Star». Ganz simpel zu Beginn, reiste Sumino mit der Melodie durch die unterschiedlichsten Stile und Schwierigkeitsgrade. Das Stück ist ein Zeugnis für seine enorme Vielseitigkeit: Von Barock bis zeitgenössisch, von Jazz bis Ragtime, Swing und Groove – Sumino kann alles, und er weiss dies gekonnt auszupielen.
So blieb am Ende neben überschwänglichem Beifall auch viel Staunen in den Gesichtern des Publikums. Und das Gefühl, hier ein Phänomen erlebt zu haben – ein Künstler, der in den kommenden Jahren noch viel von sich zu reden machen wird.
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