Er mag es, das Publikum auf die Folter zu spannen. Wenn Sir András Schiff bei einem Rezital auftritt, gibt er das genaue Programm im Vorfeld nicht bekannt. Auf die Frage «Sie möchten wissen was ich spiele?», sagt er trocken: «Klavier». Trotzdem füllt er die Säle, denn eines ist sicher: Gut wird es, egal was er spielt.
So auch am 28. November 2023 im Stadtcasino Basel, wo er seine Klavierkünste im Rahmen der Solistenabende der Allgemeinen Musikgesellschaft (AMG) zur Schau stellte. Angekündigt waren «Werke von Johann Sebastian Bach, Joseph Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart». Zumindest an den ersten Teil hielt sich Schiff: Mit der Aria aus Bachs Goldberg-Variationen stieg er sanft in das Programm ein. Darauf folgte das «Capriccio über die Abreise des sehr geschätzten Bruders» in B-Dur, BWV 992 – ein Jugendwerk Bachs, der darin mit bereits grosser Versiertheit den Fortgang eines engen Vertrauten episodisch in Musik setzte.
Ein Zeitsprung von etwa 25 Jahren führte zum letzten Bach-Programmpunkt, der Chromatischen Fantasie und Fuge, BWV 903. In diesem technisch anspruchsvollen Stück konnte Schiff erstmals sein ganzes Können beweisen – ruhig und unaufgeregt sitzt er am Klavier, es wirkt beinahe so, als ob seine Hände ein Eigenleben führten. Man spürte förmlich, wie er in der Musik lebt, zuweilen schien es im übertragenen Sinne so, als würde Schiff demnächst mit dem Bechstein-Flügel verschmelzen.
Auf Bach folgte mit Felix Mendelssohn Bartholdy einer der Hauptverantwortlichen für dessen Renaissance. Von Mendelssohn spielte Schiff die 1842 veröffentlichten Variations sérieuses op. 54 in d-Moll – ein tolles Klavierwerk in 18 kurzen Sätzen, inspiriert von Bachs Chaconne für Violine und ebenfalls gespickt mit chromatischen Feinheiten. Ludwig van Beethovens «Sturmsonate», die 17. in d-Moll op. 31 Nr. 2 beschloss die erste Konzerthälfte – nicht aber bevor Schiff dem Publikum mit folgenden Worten gedankliche Nahrung zum Pausengetränk mitgab: «Denken Sie daran: Die Pause ist auch Musik».
Der zweite Teil von Schiffs Rezital ist schnell beschrieben, denn er bestand nur aus einem Werk – den Davidsbündlertänzen op. 6 von Robert Schumann, geschrieben um 1837 in Leipzig. In diesen 18 Charakterstücken offenbart Schumann seine «gespaltene Seele», wie Schiff erklärte: Sie sind jeweils mit «E» oder «F» überschrieben; «E» für Eusebius, der als Pseudonym für das Sanfte die Bescheidenheit steht – und «F» für Florestan, den Übermut, das Stürmische. Nach grossem Applaus beendete Schiff den Klavierabend mit Franz Schuberts Ungarischer Melodie in h-Moll, D. 817 als Zugabe, die in den Worten des ungarischen Pianisten zwar «sehr schön, aber gar nicht ungarisch» klinge.
Der Klavierabend versetzte einen gefühlt in der Zeit zurück: Schiff steht für den Musiker, der die Werke bis ins Tiefste durchdrungen hat, der jede Anekdote dazu kennt und der von den modernen Ablenkungen scheinbar unberührt geblieben ist. Das beeindruckt – nicht nur aufgrund der unbestrittenen pianistischen Fähigkeiten Schiffs, sondern auch wegen seiner kompetenten und witzigen Moderation des Programms. Dass man sich in der Zeit zurückversetzt fühlte, liegt auch daran, dass Schiff stark im musikalischen Jargon des 19. Jahrhunderts verhaftet ist – von ihm oft verwendete Worte wie «Meisterwerk» oder «Genie» reproduzieren einen Personenkult, der der Klassik bis heute einen altmodischen Anstrich verleiht. Vielleicht ist das die symbolische Kehrseite der Medaille.
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