Schon erstaunlich, mit welcher Hartnäckigkeit sich das klassische Konzert hält. Oft für perspektivlos gehalten, war das Konzert am 6. April 2024 im Musiksaal des Stadtcasino Basel wieder einmal ein eklatantes Gegenbeispiel: Im Rahmen der Sinfoniekonzerte Klassik der Allgemeinen Musikgesellschaft (AMG) füllten das taiwanesische Nationalorchester Taiwan Philharmonic und das 18-jährige russische Wunderkind Vsevolod Zavidov – er ersetzte die ursprünglich eingeplante Solistin Khatia Buniatishvili – die Halle am Steinenberg (trotz grosser Baustelle!) bis auf den letzten Platz. Und das aus gutem Grund, wie hier vorweggenommen werden soll: Sowohl Orchester als auch Pianist spielten mit einer Wucht und einer Präzision, die in vielen Gesichtern nichts weniger als begeistertes Staunen auslöste.
Doch der Reihe nach: Auf dem Programm stand mit «Tao of Meinong» zunächst ein zeitgenössisches Werk der taiwanesischen Komponistin Yuan-Chen Li. Gleich zu Beginn des ersten Satzes kamen Merkmale zum Vorschein, die das westlich geschulte musikalische Ohr gerne als ‘typisch asiatisch’ bezeichnet: viel Pentatonik, zarte Melodien – etwa in Violine und Piccolo – und dezente Perkussion. Der zweite Satz zeigte sich deutlich schneller und lebhafter – der treibende Charakter und die vogelgesangähnlichen Phrasen und Motive der Holzbläser evozierte das Bild eines (freudigen) Laufs durch den Wald. Ein repetitives, meditatives Motiv mit einer schwebenden, fast lähmenden Melancholie darüber drückte dem dritten Satz den Stempel auf. Insgesamt ein sorgfältig und überzeugend komponiertes Stück, mit der Fähigkeit, das Kopfkino ins Rollen zu bringen.
Nach einem rekordverdächtig schnellen Bühnenumbau folgte dann Zavidovs Auftritt mit dem 1. Klavierkonzert von Tschaikowski. Und der Teenager verblüffte. Souverän, als würde er das seit 30 Jahren machen, gefühlvoll, aber vor allem: wuchtig. Die forte- und fortissimo-Passagen brachten den Saal, den Flügel und den Pianisten selbst zum Beben und gingen durch Mark und Bein. Das Verrückte dabei: Man hatte nie den Eindruck, dass Zavidov am Limit spielte – es wirkte so, als könnte er jederzeit und nach Belieben noch weitere Gänge der Intensität hochschalten. Dasselbe galt im Übrigen auch für das Taiwan Philharmonic unter der Leitung von Chefdirigent Jun Märkl, das mit einer Präzision und einer Kraft ans Werk ging, die dem Wunderkind am Flügel mehr als Paroli bot – ohne Zweifel einer der besten Orchesterauftritte der letzten Monate im Stadtcasino. Nach frenetischem Applaus – Zavidovs letzte Note des Klavierkonzerts war noch nicht verklungen – und zwei Zugaben durfte der junge Solist in den Feierabend.
Nach der Pause spielte das Taiwan Philharmonic dann Dvořáks 8. Sinfonie, die stark von Tschaikowskis Musik beeinflusst ist. Im Vergleich zu seiner 7. und seiner 9. klingt sie leicht und feierlich, teilweise fast etwas plakativ. Fehlende Vielseitigkeit kann man Dvořák in seinem sinfonischen Schaffen – anders als dies bei gewissen anderen Komponisten etwas weiter westlich von Böhmen vielleicht der Fall ist – auf jeden Fall nicht vorwerfen. Und auch dieses Werk meisterte das taiwanesische Nationalorchester mit Bravour. Insbesondere die Bläser überzeugten mit bestechender Sicherheit.
Als «kleines Betthupferl» – so die Worte von Dirigent Märkl, der zum Schluss noch ein paar Gedanken zur Leidenschaft für die klassische Musik in Taiwan, aber auch zu Gefahren durch Naturkatastrophen sowie eine aktuell spannungsgeladene Politik ans Publikum richtete – ertönte schliesslich noch das taiwanesische Stück «Engel von Formosa». Ein wunderbarer und stimmiger Abschluss eines speziellen Konzertabends, der wieder einmal zeigte, dass in der Klassik noch immer viel Leben steckt.
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