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AMG, 4.2.2025, Stadtcasino Basel – Sir András Schiff: Musikvermittlung par excellence

Klassik
Solistenabend
Stadtcasino Basel

«Programm nach Ansage» – das ist alles, was das Publikum im Vorfeld über das Rezital von Sir András Schiff im Rahmen der Solistenabende der Allgemeinen Musikgesellschaft (AMG) am Dienstag, 4. Februar 2025 im Stadtcasino Basel erfahren konnte. Wer sich gerne minutiös auf die gespielten Werke vorbereitet, wurde hier auf die Probe gestellt. So viel vorab: Es lohnte sich, zu kommen.

Schiff startete mit Johann Sebastian Bachs «Capriccio über die Abreise des sehr geschätzten Bruders» in B-Dur, BWV 992 – das einzige Stück, welches er von seinem letzten Rezital in Basel am 28. November 2023 im Programm behielt. «Bach ist für mich zweifellos der grösste Komponist, der je gelebt hat», kommentierte Schiff das Werk im Anschluss, und demonstrierte dem Publikum gleich noch, wie jener im Capriccio das Posthorn und den Pferdegalopp motivisch verarbeitete. Nach einem weiteren Bach-Stück, dem Ricercare a 3 aus dem Musikalischen Opfer BWV 1079, wechselte Schiff zu Mozart, der auf seiner Bestenliste «nicht weit» von Bach sei. In der an dramatischem Ausdruck kaum zu überbietenden c-Moll-Fantasie KV 475 hat sich jener von Bachs Ricercare inspirieren lassen, das ist dem Anfangsmotiv – angeblich diktiert von König Friedrich – ziemlich deutlich zu entnehmen. Schiff zeigte diese musikhistorische Verbindung und zog gleichzeitig den Hut vor dem König und dessen melodischem Einfallsreichtum – «welcher Politiker könnte so etwas heute noch tun?»

Sie merken schon, Schiff ist nicht nur ein begnadeter Pianist, er ist auch ein fesselnder praktizierender Musikhistoriker und -vermittler. Er kennt nicht nur die Noten seines Repertoires in und auswendig, er weiss auch jedes Detail über Entstehung, Kontext und Rezeption der Werke. Auch aufgrund dieses zweiten Aspekts sind seine Auftritte so besonders.

Als nächstes kam Schiff als zu Joseph Haydn, dem «wohl meist unterschätzten Komponisten». Während Mozart in seiner Musik singe, spreche Haydn durch diese – ein «musikalischer Philosoph» sei er gewesen. Von Haydn spielte Schiff die Variationen in f-Moll, Hob. XVII:6, die seine vorangegangenen Worte bestätigten. Den letzten Programmpunkt der ersten Konzerthälfte bildeten schliesslich Ludwig van Beethovens 6 Bagatellen, op. 126. Schiff spannte damit den Bogen seiner kleinen, äusserst lehrreichen Musikgeschichte von Bach bis Beethoven, der man noch Stunden länger hätte zuhören können.

Der zweite Teil des Rezitals beinhaltete dann allerdings keine Querverbindungen mehr, denn er bestand einzig aus der Sonate in G-Dur, D. 894 von Franz Schubert. Eher selten zu hören, ist sie tatsächlich ein typischer Schubert – wenig bis keine Modulationen, wunderbare Variationen und ein Ausdrucksspektrum, das in dieser Schwere in Sachen Klaviermusik seinesgleichen sucht. Dass Schiff am Dienstagabend auf einem Bösendorfer-Flügel spielte, hatte auch mit der besonderen Sprache Schuberts zu tun, wie der Altmeister selbst beschrieb – der Bösendorfer komme dem speziellen Wiener Dialekt Schuberts näher als ein «hochdeutscher» Steinway aus Hamburg.

Schiff spielte mit gewohnt grosser Sorgfalt und Demut, liess aber gleichzeitig seine ganze technische und expressive Virtuosität zum Tragen kommen – die Bandbreite reichte von gefühlvollem, sanftem Piano zum bestimmten und kräftigen Fortissimo. Mit gezielt eingesetztem Rubato betonte Schiff die narrativen Strukturen der Musik, die regelrecht durch ihn strömte. Beeindruckend war auch zu sehen, welche Ausdauer er noch immer an den Tag legt: Das Rezital dauerte inklusive Pause insgesamt fast drei Stunden, ohne dass dabei – und das liegt vor allem daran, dass Schiff ein brillanter (Musik-)Geschichtenerzähler ist – auch nur eine Sekunde der Langeweile aufgekommen wäre. Kein Wunder, folgten auf den Schlussakkord der Schubert-Sonate grosser Beifallssturm und fast geschlossene stehende Ovationen, bevor sich Schiff, ohne eine Zugabe zu verweigern, verabschiedete. Es ist dem Basler Publikum zu wünschen, dass er bald wiederkommt, denn trotz seiner 71 Jahre ist Sir András noch lange kein sinkendes Schiff – ganz im Gegenteil.

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